202006.04
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Arbeitszeiterfassung ist nach Auffassung des Arbeitsgerichtes Emden eine vertragliche Nebenpflicht für den Arbeitgeber

Grundsatz:

Die aus Art. 31 Abs. 2 GrCh folgende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung ist als vertragliche Nebenpflicht im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB zu klassifizieren, nach dem die Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des jeweils anderen Vertragsteils verpflichtet sind.

Wird diese vertragliche Nebenpflicht verletzt, gilt der unter Vorlage von Eigenaufzeichnungen geleistete Vortrag des Arbeitnehmers, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat, regelmäßig gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.

ArbG Emden, Urteil vom 20. Februar 2020 – 2 Ca 94/19 –

 

Was war passiert? 

Die Parteien streiten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses um ausstehende Vergütung (Vergütungsprozess).

Der Mitarbeiter hatte unter Vorlage von Eigenaufzeichnungen die geleisteten Arbeitszeiten im Einzelnen vorgetragen und verlangte weiteren Lohn von seinem Arbeitgeber.

Der Arbeitgeber hatte für den Mitarbeiter kein ausreichendes System für die Arbeitszeiterfassung eingerichtet und daher auch keine objektiven und verlässlichen Daten vorlegen können, anhand derer sich die Arbeitszeiten des Klägers nachvollziehen lassen konnten.

Der Arbeitgeber hatte damit gegen die ihn gemäß Art. 31 Abs. 2 der EU-Grund- rechte-Charta (im Folgenden: GrCh) treffende Verpflichtung zur Einrichtung eines „objektiven“, „verlässlichen“ und „zugänglichen“ Systems zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit des Klägers verstoßen, so das Arbeitsgericht Emden. 

Die von dem Arbeitgeber vorgelegten gedruckten Auswertungen des Bautagebuches waren nach Auffassung des Gerichtes ungeeignet zu belegen, welche Arbeiten der Arbeitgeber dem Mitarbeiter konkret zugewiesen hatte und an welchen Tagen dieser diesen Weisungen nachkam oder nicht.

Dem Mitarbeiter konnte damit auf Grundlage seiner eigenen Aufzeichnungen weitere Vergütung verlangen. 

 

Was folgt daraus für die Praxis?

Es bleibt abzuwarten, ob die Auffassung des ArbG Emden auch von anderen Arbeitsgerichten bestätigt werden wird und eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems als arbeitsvertragliche Nebenpflicht des Arbeitgebers anerkannt wird. 

Fehlt ein solches System im Betrieb des Arbeitgebers jedoch gänzlich, wird es den Arbeitnehmern zukünftig erleichtert, Vergütungsprozesse gegen den Arbeitgeber erfolgreich durchzusetzen. 

Arbeitgeber sollten daher prüfen, ob die bestehende Arbeitszeitdokumentation den Anforderungen im Rahmen eines Vergütungsprozesses genügen kann.